Hans Peter KELLER

Künstler der Heimat : Begegnung mit Will HALL

Der Künstler Will HALL gibt zu dem kriegerischen Schauspiel, dass von Engeln und Dämonen in der Menschenbrust ausgetragen wird : dieser göttlich-satanischen Komödie, die voll sensibler Spannungen hin und heragiert zwischen Verfall und Auftrieb, Zerfahrenheit und Versunkenheit, Chaos und Kosmos, eine eigene angreisende Melodie. In ihrer kosmischen Hinbezogenheit wirkt seine Malerei immer irgendwie hintergründig oder abgründig. Da wird, aus Erschütterungen erlebten Lebens heraus, sowohl der Verzweiflungsschrei kämpfender Kreatur als auch das stumme Schmerzensanlitz des gotischen Christus neu gestaltet. Gleichviel, ob sich ihm nun eine galizische Bauerngestalt, ein Akkt aus der Passion oder eine landschaftliche Begegnung zum Vorwurf wird. Als Maler erstrebt er die Wiedergewinnung der grossen Form. Raum – diese Wort und das Gefühl, das aus diesem gesprochenen Wort ausatmet, charaktererisiert seine Bildgestaltung und umschreibt ihtr Monumentalität. Seine niederheinische Fischerköpfe zum Beispiel, gross und dunkel in der eindeutigen Herbe, die dem Menschen der Ebene eignet, brechen fast aus dem Bildrahmen heraus ; sie neigen sich dem unwillkürlich zurücktretenden Beschauer entgegen, das Namenlose des Raumes auf den Schultern tragend oder als abgetan hinter sich lassend. In diesen Gesichtern wabert es ; da gibt es Winde, weite gewaltige Winde, welche über den Meeren werden und in den Himmel niederheinischen Landes zu Hause sind. Und Licht : zusammengefiltert aus Wasser, Wolken und Mövenweiss, aus stromdunstverhangender Sonne, aus dem gleichmässigen Grau und Gün der Ufer, dem abgenutzen Braun der Fischerboote und dem zerwehenden Russ schwerer Schleppkähne. Hier passt das Wort Atmosphäre.

Wer vor den Bildern steht, in denen biblische Geschenisse eine neue Gestaltung erfahren haben, der erkennt : Hier ist nicht ein besonnen-leichtes Aufblühen und eine fraglose Ruhe in der Gemeinsamkeit eines gütigen Gottes – nein : reissender Aufbruch und immer wieder faustisch kämpferischer Aufschrei aus dem Abgrund des Dämonenhaft-Unterweltlichen hinüber zu dem Abgrund des Göttlich-Übermenschlichen. Immer wieder Auftrieb aus nihilistischer Zerrissenheit zu Gedanke und Wille ; Werkzeug bin ich ! – Will Hall malt keine Madönnchen – wohl aber Madonnen. Wer also zum Beispiel aus der Stilhaltung der Nazarener kommt, wird sich bei Hall gewaltig angefasst fühlen. Sei es nun eine Donna dolorosa, eine Veronika, ein sterbender Christus oder ein von Pfeilen durchbohrter San Sebastian, seien es Pharisäer, Zöllner und Schächer oder der Judaskuss und die Versuchung des Antonius, des gropssen Busspredigers und Wundertäters - : seine Bilder sind nicht Betrachtung aus apollinischem Gleichgewicht, sie sind blutrhythmisch- dynamisches Neuerlebnis, Fragestellung, die zwingt, aufstossend in helle gelösste Bezirke. Aus der breitschrägen Lagerung der unteren Gestalthälfte, der grossen Faltung der Hände und der düsteren Wucht austeilender, mehrmals umbrochene Linien in die sanfte Rundung von Schultern und Haupt und in den weiten klaren Gestus des Flügels. Unten unselige Wirrnis, Spannung, Entwerden – oben heilige Erfahrung, Wissen, Andacht. Ein greller Sehnsuchtsschrei, will sich links ein Blau und Rot hinauf in das Gold der Engelschwingen stürzen, verliert aber unterwegs den aufgetriebenen Ton und mündet wie klingender Jubel. In den Händen, die sich aus schwerer Umhüllung herausholen, hungert ein Haltloses, fiebert und fröstelt ein Flehen : o komm, Emanuel ! Hände, die Leid und Verfinsterung wissen und die unsagbare Sehnsucht. Aber sie ahnen den Advent, den gnadenlosen Anbruch der heiligen Nacht. In ihnen hängt die grosse Hoffnung auf Erfülltwerden, wie in manchen jener stummen steineren selbständigen, nicht irgendeinem Körper zugehörenden Händen Rodins, die Rilke als rhythmisch verdichtete Deltas endeckte, in die wie fernher kommendes Leben zusammenfliesst, um sich in den grossen Strom der Tat zu ergiessen. Diese Hände rufen das magdliche Fiat mihi ! Das Antlitz aber, in höhere Sphäre enthoben, weit überflossen vom Weiheglanz der Gnade, kündet schon die Niederkunft an. Die Augen sind geschlossen, wie vergewaltigt von jenseitigem Blendstrahl. Sie sehen nicht mrhr, denn die Seele schaut. Sie spiegeln nicht mehr ein anscheinendes Draussen, sie sind Spiegel geworden und Kelch eines nicht anscheinenden Innen vordem ungewusster Wirklichkeiten. Sie hüten das Geheimnis in keuscher Verwaltung, fürchtend, sich sonst zu verstreuen und zu verausgaben. Sie beten an – Man stelle das Bild einmal auf den Kopf, oder auf eine Seite, um es so zu betrachten - : nirgendwo wird man einen Leerlauf oder eine Blässe entdecken, immer aber die starke organische Zielstrebigkeit der Linien und Flächen und ihre schliessliche Beruhigung in Antlitz und Schultern des Engels. Die feingriffige Behandlung des Glases trägt zur Veranschaulichung des tiefen Aufschlages der Seele und des mystischen Vorgangs der göttlichen Herabkunft nicht unwesentlich bei. Sodann ist da ein Pastell « Nikodemus » : Gross ins überzeitlich Typenhafte geh oben und doch für einen bestimmten Typ gerade unserer Zeit charakteristisch. 

Wahrheitsucher, heiss ringender homo religiosus, der in dem schicksalhaften Abstieg in sein Inneres plötzlich, in begnadeter Stunde, gottvoller Ergriffenheit, begreift und erkennt. Ein Erkennen des Göttlichen, von dem niemand sagt, wie es geschieht. Stören die hohe Stirne auch noch Runen nächtelanger zermürbender Grübeleien und weilt auch noch Schattenreste satanischer Umachtung auf dem Antlitz - : der grosse glutende Augenaufschlag ist erfüllt von masslosem Staunen und unsäglichem Beschenktsein. Dann eine Schmerzensmutter, in deren tränenflorten Ausblick man sich selber, wie fortgenommen, entsinkt. Da ist die Grenzenlosigkeit wahrer Liebe und alles Liebesleid der Welt Antlitz geworden. Endlich finden sich da noch, unter vielem anderen, eine Hl. Dreifaltigkeit, ein Krippenbild, ein St. Franziskus, eine Hl. Elisabeth, ein Schweisstuch der Veronika und zahlreiche Skizzen zu einem Totentanz in einer ganz neuartigen und eigenen Auffassung. Hall ist wie im Motivischen so auch in der Technik sehr vielseitig : Kohle, Pastell, Graphik, Aquarell, Tempera, Oel- und Glasmalerei sind seine Sprachmittel ; sogar in der plastischen Gestaltung hat er sich mit Glück versucht und letzthin sich im Mosaik ein grosses vielversprechendes Neuland entdeckt. Sein Glasmosaik « St. Christopherus » ist eine sehr gute Leistung und gibt dem grossen Mosaik seines Schaffens einen kostbaren Stein ab.

Neben all diesem lebt seine absolute Malerei schlicht und still ihr geheimnisvolles unergründliches Eigenleben. Diese leuchtenden und lächelnden Linien, diese unerhört ab- und anklingenden Flächen sind wie die Gebärden eines Kindes das die Wunderwirklichkeit des Märchens erlebt, sind wie die (dem mit « beiden Beinen auf dem Boden der Tatsächlichkeiten stehende » Realisten allerdings unverständliche) Handschrift eines Traumbenommenen, der dem Jenseitigen für das Geschenk eines namenlosen Erlebnisses die Dankantwort zu schreiben versucht. In allen diesen Bildern und Bildchen west eine geheime mathematische Gesetzmässigkeit (auch Mathematik ist Poesie). In ihrer einzigartigen Farbensymphonik ergreifen sie manchmal wie liebhafte Weisen, die in einer sehr fremden Sprache zum Vortrag gelangen. Dieses Liedhafte schwillt zu einem grossen Skaldenchor an in der Vision « Die Welt der Edda » in welche die Atmosphäre des Heroisch-Mythenhaften nordisch- germanischer Wesenheit meisterlich eingefangen ist.

Hans Peter Keller